Der Wald war in Mitteleuropa, speziell in Deutschland ein prägendes Ökosystem. Angesichts der Entwicklung in den letzten Jahren haben wir zum aktuellen Zustand des Waldes einen Fachmann gefragt: Den Geobotaniker Prof. Dr. Richard Pott. Er leitet das Institut für Geobotanik an der Leibnitz-Universität Hannover.
Frage: Herr Professor Pott, wo ist der letzte jungfräuliche Wald in Deutschland:
Antwort Prof. Pott: Einen vom Menschen unangetasteten Wald gibt es nicht mehr. Es ist überall menschlicher Einfluß vorhanden. Man muß die Definitionen auseinanderhalten.
Primeval Forest in der englischen Definition ist der wirklich unangetastete Wald, diese Definition ist präziser und weitgehender als unser deutscher Begriff „Urwald“.
In Europa haben wir Primeval Forest noch vereinzelt an folgenden Stellen:
a) In Hochlagen der Karpaten in der Slowakei.
b) In den Dinarischen Alpen im ehemaligen Jugoslawien: Vereinzelte Täler mit Buchen-Urwald und Buchen-Tannen-Urwald.
c) Der Rothwald bei Lunz/Maria Zell in Österreich (abgeschotteter Rothschild-Besitz): Tannen-Fichten-Buchen-Mischwald.
d) Urwald von Białowieża: Ein Urwald an der polnisch-weißrussischen Grenze, Heimat von Wisenten, ehemaliges Jagdgebiet der polnischen Könige, aktuell bedroht durch die Aktivitäten der polnischen Regierung, die das Holz verkaufen will.
e) Der einzige Rest in Deutschland ist ein kleines Stück: Das Zwieseler Wäldchen bei Bayerisch Eisenstein in Grenzlage zur Tschechischen Republik: Buchen-Tannen-Wald (Abieti-Fagetum)
Ancient Forest ist ein lebendiger Wald, der mindestens 400 Jahre nicht vom Menschen bewirtschaftet wurde. Im Unterschied dazu ist unsere neuere (relativ unsinnige) deutsche Definition Altwald zu sehen: das sind Parzellen, die aus der Nutzung herausgenommen worden sind.
Zum Urwald allgemein: Echte Urwälder haben ganz andere Böden als die anderen Ökosysteme. Diese Böden kann man nicht mehr wiederherstellen, wenn der Urwald einmal gerodet wurde. Der echte Urwald hat eine einzigartige Struktur: Alle Bäume sind verschieden alt. (Gegensatz zum Wirtschaftswald: hier strebt man nach einheitlicher, einfacher, Struktur).
Zu auch in Deutschland üblichen Wirtschaftswäldern ist zu sagen: Die werden mit Maschinen gepflanzt und mit Maschinen geerntet. Allein die Spuren (tiefe Räder-Spuren, die tiefe Rinnen sind), die diese Maschinen hinterlassen, sind Eingriffe, die lange Zeit (Jahrzehnte, Jahrhunderte) überdauern.
Frage: Was sind die wichtigste Funktionen des Waldes?
Prof. Pott: Der Wald leistet über den Boden einen höchst wichtigen „Ökosystem-Service“ für die Reinhaltung des Grundwassers und damit für unser Trinkwasser:
Der Stickstoff wird durch den Wald eliminiert. Das kann man dort sehen, wo Brunnen durch umgebende Aufforstung saniert werden. Der Stickstoffeintrag über die Luft aus der Landwirtschaft, LWS, und anderen Quellen(Immissionen) ist auch eine große Gefahr, regional stark unterschiedlich. Aber dort, wo er im Übermaß geschieht, ist der Effekt das Vorherrschen von Alliaria, Brennessel und Brombeere und anderen Nitrophyten. Die LWS ändert das floristische Inventar der Krautschicht des Waldes. Folge ist eine Nivellierung zugunsten der Nitrophyten.
Literatur dazu:
Lethmate, Jürgen (emeritierter Professor, bis 2010 Uni Münster), Der nordrhein-westfälische Gülle-Belt und sein Einfluss auf die Deponate des Teutoburger Waldes. - Geoöko 23: 61-75 (zusammen mit Bastian Eickelmann, Thomas Worringer).
Frage: Wo bekommen wir noch gutes (Trink-)Wasser her?
Prof. Pott: Dort, wo Kalklandschaften (Kalkgesteins-Böden) sind. Geologisch: Kreidezeit.
Kalkböden sind meist Waldland, weil dort LWS keine große Rolle spielt – Ertragsgründe. Generell gesprochen: Überall, wo die LWS keine Rolle spielt, ist das Wasser noch gut. Aber: Süßwasser wird auf der Erde ein knappes Gut. Wir in Deutschland sind noch eine gesegnete Ausnahme, weil wir auf Grund des Überflusses an Niederschlägen noch Wasser verschwenden können.
In anderen Ländern – auch Europas – sieht es anders aus. Beispiel Spanien: Da gibt es das Projekt vieler großer Fernwasserleitungen vom Norden in den Süden und vom Norden nach Zentralspanien.
Frage: Woran erkennt der Laie den Unterschied zwischen Wald und Forst?
Prof. Pott: Der Forst ist ein Holzacker. Alle Bäume sind gleich alt, stehen in Reih und Glied, maschinell gepflanzt für maschinelle Ernte (siehe oben). Unsere Altvorderen wußten nichts über die Schädlichkeit der Fichten- und Kiefern-Aufforstungen, die zu starker Versauerung des Bodens führten.
Seit Jahrzehnten gibt es das Ziel des Umbaus dieser Holzäcker in Laub-Mischwald. Geht über Plenter-Nutzung etc. Aber es gibt auch gegenläufige Kräfte, etwa die Wirtschaftlichkeits-Ansprüche an den Wald. In diesem Zusammenhang warne ich: Man sollte die Sache nicht zum Politikum machen, damit die Chance gewahrt wird, die Probleme im Dialog zu lösen.
Abschreckende Beispiele gibt es genug. Die mit EU-Förderung unterstützte Eukalyptus-Anpflanzungen in Spanien etwa, mit der die EU eine unsinnige Holz-Autarkie zur Papierherstellung erreichen will. Die an den neuen Standorten fremden Eukalyptuswälder führen zu Waldbränden (die E.-Bäume brauchen das Feuer für die Öffnung der Samen Pyrrhophyten).
Ökologisch ein Wahnsinn.
Frage: Was können wir tun, was kann der Einzelne tun?
Prof. Pott: Wenig. Es erfolgt erschreckend wenig Resonanz. Selbst wenn ich z.B. im Rossmann-Kundenmagazin „Centaur“ die Dinge beim Namen nenne, kommt kaum Reaktion. Beim Namen nennen bedeutet: Die Unwiederbringlichkeit der Urwald-Ökosysteme beschreiben mit den unabsehbaren Folgen für Klima, Umwelt, künftige Generationen.
Ich gebe noch einen Hinweis: In Vorbereitung ist für den 7. November 2018 ein Symposion zum Thema „Insektensterben“ – die niedersächsischen Minister für Verbraucherschutz und für Landwirtschaft sowie für Umwelt sollen sich dort äußern.
Literatur:
Pott, R. (2000)
- Die Entwicklung der europäischen Buchenwälder in der Nacheiszeit., – Bayerische Akademie der Wissenschaften München, Rundgespräche der Kommission für Ökologie 18: 49-75.
- Farbatlas Waldlandschaften, 1993, Ulmer Verlag, Stuttgart
Leibundgut, Hans, Europäische Urwälder. Wegweiser zur naturnahen Waldwirtschaft, 1993
Mayer, Hannes
- Waldbau auf soziologisch-ökologischer Grundlage, 1977
- Ungeschminkte Reminiszenzen eines u.o. (unordentlichen) Professors, Wien 1992
- Wälder Europas, 1984- Europäische Wälder. Ein Überblick und Führer durch die gefährdeten Naturwälder, 1986
- Ders., zusammen mit Günzl-Schmidt: Zweckmäßigkeitsstudie für die Forstpflanzenzüchtung mittels Zell- und Gewebekulturen, 1985
Schütt, Peter - Der Wald stirbt an Streß, 1988 - Enzyklopädie der Holzgewächse, Handbuch und Atlas der Dendrologie, in Einzelbänden 2004f