Landein landaus werden die Behörden nicht müde, im Rahmen Ihrer „Fürsorgepflicht“ vor immer neuen, angeblichen Gefahren aus der Natur zu warnen. Zuerst war es die uralte Heilpflanze Aristolochia (Osterluzei), dann wurde der Zimt im Weihnachtsgebäck verteufelt, auch der Wolf wird sicherlich bald wieder zum Abschuss freigegeben.
Seit einiger Zeit ist immer häufiger von der „Giftpflanze Jakobskreuzkraut“ die Rede, die durch massenhafte Vermehrung eine ernste Gefahr für Mensch und Tier darstellen soll. Denn die Pflanze enthält gefährliche Pyrrolizidinalkaloide (PA). In behördlichen Merkblättern, z.B. von den Landwirtschaftskammern, wird den Landwirten daher geraten, das Kraut entweder mit Herbiziden zu vernichten, oder, wo das nicht erlaubt ist, mit Stumpf und Stiel auszureißen und am besten in der Biogasanlage zu „verwerten“.
Der Geobotaniker Prof. Richard Pott bestätigt, daß es lokal tatsächlich eine Zunahme von Johanniskreuzraut gibt, allerdings nur auf wenigen Flächen. Auf durch Gülle und Kunstdünger übersättigten Böden kann das Kraut gar nicht mehr wachsen, es muß daher auf die wenig genutzten Rest-Flächen mit mageren Böden ausweichen. Tiere auf der Weide meiden das bitter schmeckende Kraut übrigens instinktiv; auch wenn die Wiese wie früher mit der Sense gemäht wird, gibt es keine Probleme. Erst wenn, wie heute üblich, maschinell alles abgemäht und in der Massentierhaltung z.B. als Silage verfüttert wird, können die Tiere gesundheitliche Probleme bekommen.
Das Jakobskreuzkraut dient einer Vielzahl von seltenen Insekten als Pollenspender oder Futterpflanze, z.B. dem mittlerweile auf der Roten Liste stehenden Jakobskrautbär, auch Blutbär genannt, einem eleganten, blaurot gefärbten Schmetterling, dessen Raupen sich von den Blättern und Blüten ernähren. Tatsächlich enthält das Jakobskreuzkraut die oben genannten Pyrrolizidinalkaloide. Die Raupen des Blutbärs reichern diese im Körper an, um ihrerseits nicht gefressen zu werden. Diese Stoffe werden von fast jeder Pflanze gebildet, wenn Blätter beschädigt werden, um sich vor Fraßfeinden zu schützen und sind in geringer Menge unbedenklich.
Auffällig ist, daß Pyrrolizidinalkaloide bis etwa 2015 kaum ein Thema in der öffentlichen Wahrnehmung waren. Ausgehend vom Bundesamt für Risikobewertung kam es erst danach zu einer immer weiter ausufernden Berichterstattung, die ihren Höhepunkt Anfang 2017 erreichte, als gleichermaßen unkritische wie behördengläubige Berichte des ZDF-Magazins WISO und der Stiftung Warentest über angeblich „vergiftete Tees“ für Unruhe in der Bevölkerung sorgten. Seitdem sind auch wir dazu gezwungen, unsere Produkte jährlich auf Pyrrolizidinalkaloide zu untersuchen, ohne je welche gefunden zu haben. Die gleiche Behörde behauptet übrigens immer noch, daß Glyphosat nicht krebserregend sei…
Wenn nun, wie behördlich gefordert, das Jakobskreuzkraut auch noch auf den letzten verbliebenen Flächen vernichtet wird, verschwindet nicht nur das Kraut und der Falter, wir wissen gar nicht, was wir am Ende tatsächlich damit anrichten. Möglicherweise beschwören wir viel größere Gefahren herauf.
In unserem Garten ist die Pflanze herzlich willkommen.
Quellen:
Jakobskreuzkraut (Senecio jacobaea) - Eine Giftpflanze auf dem Vormarsch, Herausgeber: Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, Münster, Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen, 2011
https://www.landwirtschaftskammer.de/riswick/pdf/jakobskreuzkraut.pdf
Problematik Jakobskreuzkraut - Handlungsanweisungen und Informationen zur Bekämpfung - Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen, 2016
https://www.lanuv.nrw.de/fileadmin/lanuv/natur/pdf/Jakobskreuzkdraut_Senecio-Bericht_LANUV_LWK_22_04_2016.pdf
Ratgeber Pflanzenbau und Pflanzenschutz 2016 der Landwirtschaftskammer NRW
Bedrohte, gefährdete und geschützte Schmetterlinge: Jakobskrautbär, Tyria jacobacae, NAOM-Merkblatt Nr. 50.03, Naturwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft Obertshausen-Mosbach e.V.
https://nanopdf.com/download/50-03-jakobskrautbr_pdf
Fragen und Antworten zur Bewertung des gesundheitlichen Risikos von Glyphosat, FAQ des Bundesamtes zur Risikobewertung vom 1. März 2016
https://www.bfr.bund.de/de/fragen_und_antworten_zur_bewertung_des_gesundheitlichen_risikos_von__glyphosat-127823.html