Leserbrief von Frau Dr. Brigitte Leopold-Temmler

Gastkommentar einer Tierärztin aus Hannover

Sehr geehrter Herr Dr. Pandalis,

Sie haben völlig Recht - durch die Sommerzeit ist die innere Uhr offensichtlich deutlich, viel mehr als zugegeben wird, beeinträchtigt. Angeregt auch durch Ihre wiederholten Hinweise auf die gesundheitsschädliche Wirkung der Zeitumstellung habe ich sozusagen im Selbstversuch eine meiner Wanduhren auf der alten Zeit belassen, und kann so feststellen, dass ich nach der alten Zeit um ca.22:30 - 23:00 zu Bett gehe, und nach der alten Zeit etwa um 7:00 automatisch wach werden würde, allerdings ist es dann nach Sommerzeit bereits 8:00 Uhr. Ich muss aber eher aufstehen, um rechtzeitig zur Arbeit zu kommen. Mir fehlt also tatsächlich 1 h Schlaf, weil meine innere Uhr sich offenbar auch innerhalb von Monaten überhaupt nicht (!) umgestellt hat (auch nicht am Wochenende). Die Folge: ich bin mittags oft müde und versuche dann, den fehlenden Schlaf nachzuholen, was natürlich nicht immer möglich ist. In jedem Jahr bin ich erleichtert, wenn die Winterzeit wieder gilt. Dann geht es mir deutlich besser. Selbstverständlich habe auch ich deshalb für die Abschaffung der künstlichen Zeit gestimmt. Die Zeitumstellung allein würde aber m.E. Menschen nicht gesünder machen, wenn sich diese zu sehr dem künstlichen Blaulicht von Fernseher, Smartphone und/oder Tablet aussetzen, außerhalb des Berufs, sozusagen auf freiwilliger Basis. Man muss nur einmal versuchen, sich v.a. am Abend Ruhe und Stille zu gönnen, in Abstinenz von Smartphone, Fernseher & Co, und wird erstaunt sein, welche positiven Wirkungen dies auf Geist und Körper hat, wie überhaupt circadiane Rhythmen von Zeit und Licht nach dem Sonnenstand für unsere Gesundheit eine Rolle spielen.

Der Mensch (und das Tier) sind selbstverständlich anpassungsfähig, aber diese Anpassungsfähigkeit hat Grenzen. Es ist für uns Tierärzte Alltag, dass Tiere vermehrt krank werden oder Verhaltensstörungen zeigen, wenn Haltungsbedingungen (Licht, Luft, Raum, Struktur der Umgebung, soziales Umfeld/sozialer Druck, zirkadiane und jährliche Rhythmen, Reproduktionszyklus) und/oder das Fütterungsmanagement (artgerechtes Futter, Rationsgestaltung, Futterzeiten) nicht den jeweiligen natürlichen (!) Anforderungen entsprechen, die eine Spezies hat, oder die Tiere von ihrem (Leistungs-) Potenzial her an ihre Grenzen kommen. Somit ist es logisch, dass auch der Mensch als Spezies diesen natürlichen Gegebenheiten unterworfen ist. Auch Pflanzen gedeihen nicht an jedem Standort, was die urheimische These unterstreicht.

Zum Thema urheimische Ernährung möchte ich noch berichten, dass ich seit einiger Zeit viele Nahrungsmittel und schon gar keine Fertignahrungsmittel mehr vertrage, somit auf Grundnahrungsmittel zurückgreifen muss, deren Herkunft ich möglichst kenne. Ich selbst bin in der „Senne“, d.h. im Teutoburger Wald aufgewachsen, der sehr viel "gute Energie" und – in der Senne infolge des Sandbodens - auch gutes Wasser hat. An meinem jetzigen Wohnort (Großstadt) ist das Energielevel zumindest für mich gefühlt niedriger (und der Stresslevel viel höher), was – theoretisch – auf verschiedene ungünstige geologische und andere Umwelt bedingte und soziale Faktoren (z.B. „Overcrowding“ durch stark verdichtetes Bauen, Feinstaubproblem in urbanen Bereichen) zurückgeführt werden könnte. Negativer Stress aber ist für Mensch und Tier nachweislich schädlich, dieser hat pathogene, d.h. krankmachende Wirkung. Stress beeinflusst auch das Verhalten negativ.

Ich beobachte ferner, dass zunehmend viele meiner Tierpatienten an Unverträglichkeitsreaktionen aller Art leiden. In den letzten 20 Jahren haben nach meinem empirischen Eindruck sämtliche, mit dem Immunsystem zusammenhängende Erkrankungen zugenommen. Viele Tierhalter versuchen daher, ihre Tiere "natürlich" zu füttern, indem sie auf eine Rohfütterung umsteigen. Allerdings ist die Herkunft der Rohstoffe aufgrund ubiquitärer Einflüsse teils auch nicht unbelastet, nach den neuesten Studien ist u.a. eine mikrobielle Belastung bei Rohfuttermitteln für Hunde und Katzen als Problem identifiziert worden (z.B. Nachweis von „Lebensmittelkeimen“ wie Campylobacter jejuni etc.). Als praktizierende Tierärztin mit vielen Berufsjahren bin ich übrigens genau wie viele andere Menschen zunehmend besorgt bezüglich der Haltung und Fütterung unserer sog. "Nutztiere". Als an der Landwirtschaft und damit auch dem Pflanzenbau Interessierte und als Pferdehalterin und Reiterin bin ich ebenso besorgt über die (Fehl-) Entwicklungen im Bereich der heimischen Flora und damit im Zusammenhang auch der Fauna. Hier ist eine – von vielen Landwirten bereits geforderte und ansatzweise lokal eingeleitete Umkehr im Bereich der Bodenpflege, d.h. Düngung, Fruchtwechsel, Greening (das auch schon wieder kontrovers diskutiert wird) und der Anwendung von Pestiziden/Herbiziden - gefordert. Glyphosat (Round Up) ist ein äußerst kritischer Punkt! Es muss Alternativen geben! So können wir jedenfalls nicht weiter verfahren.

Aktuelle Studien belegen es: 75% weniger Insekten! Stadthonig ist, wie man hört, mittlerweile weniger belastet als Honig aus dem ländlichen Raum. Die notwendigen Rückschlüsse liegen damit auf der Hand. Mit dem Insektensterben gibt es auch weniger Vögel und andere kleine Säugetiere, wie z.B. Igel, und damit einhergehend eine „Verarmung“ unserer schönen Natur, auf die auch wir Menschen letztendlich angewiesen sind. Denn es ist zu beobachten, dass viele Erkrankungen beim Menschen trotz (oder gerade wegen) des hier steigenden Wohlstandes zugenommen haben (u.a. statistisch auch psychosoziale Problematiken, z.B. die als Burn Out bezeichnete nervöse Erschöpfung, und – weltweit – die Adipositas mit ihren Folgeerkrankungen). Dies lässt sich anhand von WHO-Statistiken belegen. Es stellt sich daher die Frage, warum wir (und unsere Haustiere) trotz weiteren Fortschritts in der (Tier-)Medizin offensichtlich immer kränker werden.

Abschließend noch eine Bemerkung zu Ihrem letzten Newsletter, in dem Sie das Jakobskreuzkraut erwähnen. Sie haben auch hier Recht. Normalerweise regulierten sich die Bestände von selbst (in meiner Jugend war es kein Thema!), das Jakobskreuzkraut wächst vermehrt, wenn Weiden „nackte“ Flächen aufweisen, d.h. wenn die Wiesengesellschaft ökologisch betrachtet aus dem Gleichgewicht gerät. Somit ist die Lösung eben nicht die totale Ausmerzung des Jakobskreuzkrautes, sondern eine ökologische Umkehr in Bezug auf die für Weide und Heugewinnung genutzten Flächen. Momentan haben wir hier auf unseren Weiden wenig Jakobskreuzkraut, dafür aber plötzlich sehr große Flächen wilder Pastinaken, diese verdrängen die Gräser. Ganz zu schweigen vom bereits weiter oben erwähnten Mangel an Insekten. Für die Pferde war in diesem Jahr zumindest in unserem Stall recht wenig Fliegenschutz notwendig (den ich in der chemischen Variante übrigens nie angewendet habe, dafür lasse ich die Mähne im Sommer lang und achte auf die Zeiten, in denen das Pferd draußen ist). Leider reagieren viele Pferde auch auf die wenigen noch vorhandenen Insekten allergisch.

Ich möchte noch die Gelegenheit nutzen und mich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie sich für unsere Gesundheit engagieren und dass Sie in Ihren Publikationen und Ihrer Firmenphilosophie Mut beweisen, indem Sie kritische Punkte klar ausformulieren und direkt und offen ansprechen.

Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Birgit Leopold-Temmler
Tierärztin, Hannover