Ungeheuer Europa

Mutige Protagonisten auf der ganzen Welt führen uns vor, wie der Schutz von Mensch und Natur funktioniert...

Mutige Protagonisten auf der ganzen Welt führen uns vor, wie der Schutz von Mensch und Natur funktioniert: Der indische Bundesstaat Sikkim mit seinem Ministerpräsidenten Shri Pawan Chamling hatte bereits 2003 beschlossen, die Landwirtschaft des gesamten Bundesstaats auf Öko-Landbau umzustellen. Ohne Rücksicht auf die Interessen der Chemie- und Agrarlobby wurde das Ziel verfolgt und im Januar 2016 erreicht. Das ehrenwerte Anliegen des Ministerpräsidenten: In bester Manier eines fürsorglichen Landesvaters will er seine Bürger vor den tödlichen Gefahren der Chemie und das Ökosystem vor der Zerstörung retten. So ist mittlerweile auch der Verkauf von Pestiziden in Sikkim verboten. Die vorbildliche Gesetzgebung wurde unlängst mit dem Future Policy Award in Gold geehrt. (1)
Auch Afrika geht mutig voran: Dort sind in zahlreichen Ländern Einfuhr, Produktion, Verkauf und Verwendung von Plastiktüten teils schon seit einem Jahrzehnt verboten –unter Androhung drastischer Haft- und Geldstrafen. In Kenia sieht der Gesetzgeber bei Zuwiderhandlungen bis zu vier Jahre Haft und Geldbußen bis zu 40.000 € vor. (2)

Und Europa?

„Europa ist seit ewigen Zeiten ein in seiner Bestialität dösendes, dummköpfiges Ungeheuer.“ (3)

Zum Plastik hat das Europäische Parlament Ende Oktober einen butterweichen Beschluß gefaßt: Ab 2021 soll ein Verkaufsverbot für einige Wegwerfprodukte wie Wattestäbchen, Strohhalme und Teller aus Plastik gelten, wenn sich in Verhandlungen nichts anderes ergibt. (4) In Jahren vielleicht ein teilweises Verkaufsverbot – das ist das Gegenteil von mutig. Noch schlimmer ist es bei der Chemie: Das prägnanteste Beispiel ist die jüngste Verlängerung der Glyphosat-Zulassung um fünf Jahre. Das Zünglein an der Waage im abstimmenden Ausschuß war der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt, der entgegen vorheriger Absprachen für die Verlängerung stimmte. Seine Motivation ist ein Jahr nach dem Beschluß offensichtlich: Schmidt strebt einen Posten im Aufsichtsrat der DB AG an, dem größten Glyphosat-Verbraucher der Republik. 75 Tonnen des Gifts versprüht die Bahn jährlich, um ihre Gleise frei zu halten. (5) Die Bahn ist also längst nicht so umweltfreundlich, wie die meisten von uns dachten.
Der Interessenkonflikt Schmidts ist so deutlich, daß die Ethikkommission des Bundestags eine zwangsweise Wartezeit von 12 Monaten verhängt hat, bevor er zur Bahn wechseln darf. (6) Gegen die katastrophalen Folgen des Glyphosats hilft das Warten allerdings überhaupt nicht. Dagegen hilft nur das Vorangehen einzelner, die es auch hierzulande gibt und die der Lobby die Stirn zeigen, indem sie auf das Gift in ihren Gemeinden verzichten. (7) 

Quellen:
(1)
https://www.zdf.de/nachrichten/heute/oekolandwirtschaft-im-himalaya-alles-bio-im-indischen-sikkim-100.html

(2)
https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2018-05/umweltschutz-ruanda-plastik-verbot-gesetz/komplettansicht

(3)
Péter Nádas: In der Körperwärme der Schriftlichkeit. In: ders.: Leni weint. Reinbek bei Hamburg 2018, S. 35-40, hier S. 35.

(4)
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/eu-verbot-plastik-1.4183718

(5)
https://www.handelsblatt.com/technik/energie-umwelt/glyphosat-groesster-einzelverbraucher-ist-die-bahn/13607880-2.html?ticket=ST-314459-bdyYTkDnz9vwuO3FgDcE-ap1

(6)
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/deutsche-bahn-kabinett-verzoegert-wechsel-von-christian-schmidt-a-1231193.html
(7)
https://www.giessener-allgemeine.de/regional/kreisgiessen/Kreis-Giessen-Glyphosat-So-bekaempfen-Kreis-Giessen-Kommunen-Unkraut;art457,360928