Das knallende Silvester-Feuerwerk ist eine aus China importierte Angelegenheit2. Sie geht auf eine Vorstellung des ersten vorchristlichen Jahrtausends zurück: Chinesische Geister - so glaubten die Chinesen spätestens seit dem 3. vorchristlichen Jahrhundert – seien in hohem Maße geräuschempfindlich. Entsprechend war es wichtig, sie durch Krach von allen wichtigen Ereignissen fernzuhalten. Beispielsweise am Polterabend vor der Hochzeit oder auch beim Übergang vom Alten Jahr in das Neue. Ursprünglich benutzte man Pauken; Raketen wurden seit dem Hochmittelalter eingesetzt. Nach Europa kam der exotische Brauch erst im 19. Jahrhundert – dicht gefolgt von ohrenbetäubenden China-Böllern. Doch zu viel Beschallung aus dem fernen Osten scheint dem Deutschen suspekt. Und so untermalt er seine Silvester-Orgie ausgleichshalber mit dröhnender US-Popmusik aus dem fernen Westen. Zwar ist das reichlich fließende Bier meist europäischer Herkunft, in diesem Ausmaß allerdings alles andere als urheimisch.
Kein Entrinnen
Der lärmende Neujahrs-Brauch mag für Chinesen urheimisch sein. China ist ein großflächiges Land und früher konnte der sich dort an einzelnen Orten konzentrierende Krach über weitläufige Hochlandebenen und Beckenlandschaften abflauen. Sie boten Rückzugsmöglichkeiten für geräuschsensible Menschen und Tiere. Im dichtbesiedelten Deutschland ist das nicht der Fall2. Hier kann sich niemand der stupiden Masse entziehen, die an Silvester lautstark ihr Gehirn ausschaltet und auf das geistige Niveau eines debilen Neandertalers zurückfällt.
Jedem das Seine, denn wir leben in einem sogenannten „freiheitlichen System“. Aber stop! Die individuelle Freiheit stößt an ihre Grenzen, sobald sie Mitlebewesen einschränkt oder gar schädigt. Vor allem Tiere sind die Leidtragenden dieser modernen Interpretation eines fremden Brauchtums. Hunde, die zitternd unter dem Sofa kauern, während Herrchen und Frauchen draußen bedrohlich zischende Raketen zünden. Katzen, die in der Wohnsiedlung panisch von Garten zu Garten jagen, und doch nirgendwo ein Versteck finden, nicht selten sogar noch mit den explodierenden Knallkörpern beworfen werden. Auch die Tiere im Wald sind nicht besser dran: Eingekesselt zwischen Städten und ländlichen Gemeinden müssen sie das erschreckende Getöse um sie herum wehrlos über sich ergehen lassen. Irritiert rennen viele von ihnen auf die Landstraße, werden von besoffenen Party-Heimkehrern zu Tode gefahren und gehen so in die traurige Statistik von 258.000 gemeldeten Wildunfällen pro Jahr ein.
Frohes Neues Jahr?
Und ist endlich auch der letzte Böller in die Luft gejagt, die letzte Buddel geleert, die letzten Bässe verhallt, graut der Morgen und offenbart einen stinkenden, düsteren Rauchschleier, der sich den gesamten Neujahrstag nicht heben wird. Seine Verursacher bekommen ihn nicht zu Gesicht: sie liegen im Delirium. Unsere Natur dafür umso mehr: sie muß wieder einmal versuchen, die menschengemachten Müllberge und Gift- und Feinpartikel-Schwaden zu bewältigen. So steigen nach der Silvesternacht beispielsweise die Meßwerte von giftigem Barium um ein bis zu 600faches an, was bei Mensch und Tier Asthmaanfälle und Muskelschwäche verursachen kann4. Kein frohes Neues Jahr ...
Urheimisches Silvester in Mitteleuropa
Dennoch sollte der Übergang vom Alten ins Neue Jahr natürlich auch in Europa gebührend gewürdigt werden. Dieser Tag markierte schon bei unseren germanischen Vorfahren das Ende der mit der Wintersonnenwende beginnenden geheimnisvollen Rauhnächte („Zwischen den Jahren“) und damit den Anfang eines neuen Sonnenjahres. In dieser dunklen Zeit besaß ein helles Licht für unsere Vorfahren besondere Bedeutung. Zum einen sollte es dunkle Schatten ins Geisterreich zurückdrängen, zum anderen die wieder länger scheinende Sonne und die wiedererwachenden Naturkräfte hoffnungsfroh willkommen heißen. Ein für Mitteleuropäer urheimischer Brauch ist das Fassen guter Vorsätze für das Neue Jahr. Damit wird auch der vorchristlichen Erkenntnis Rechnung getragen, daß nämlich der Mensch sein Leben ganz wesentlich selbst gestaltet. Und so ist es auch an uns, zu entscheiden, ob wir uns an der hirnlosen Silvester-Knallerei beteiligen möchten. Spenden wir das Geld lieber für einen guten Zweck.
1 Regelbedarf für Empfänger von Arbeitslosengeld II (Hartz IV).
2 nach Prof. Dr. Dr. Gundolf Keil, Würzburg.
3 Auch heute noch ist die Bevölkerungsdichte Chinas gerade einmal zwei Drittel so groß wie die Deutschlands.
4 Steinhauser G et al.: Heavy metals from pyrotechnics in New Years Eve snow. Atmospheric Environment. Vol 42, P 8616-8622. 2008.
Glandorf, Dezember 2019.
Leserkommmentar
Sehr geehrtes Dr. Pandalis-Team,
Sie sprechen mir aus der Seele mit den Tieren. Ich habe selbst Katzen und weiß, was es jedes Jahr für Stress bedeutet, wenn die Nachbarn die Knaller zünden.
Beate Rode